Für den Sieg der iranischen Revolution, Jin Jiyan Azadi!

Zum feministischen und Frauenkampftag wollen wir in diesem Jahr ein Zeichen der Solidarität mit dem anhaltenden Kampf der Aktivist*innen in Iran setzen. Eine solidarische Praktik im Sinne eines feministischen Universalismus bedeutet, die Verflechtungen zwischen feministischen revolutionären Bewegungen zu erkennen und sich darüber mit diesen Bewegungen in Beziehung zu setzen.

Die Proteste in Iran wurden von der iranischen Regierung mit brutaler Gewalt beantwortet. Sie begannen in Reaktion auf den Mord an Jîna Mahsa Amini, einer 22-jährigen iranischen Kurdin, die von der islamischen „Sittenpolizei“ getötet wurde. Viele Frauen und Aktivist*innen wurden verhaftet, inhaftiert, gefoltert und ermordet. Die Proteste sind ein Kampf für die Befreiung der Frauen von einem patriarchalen Zwangsregime, das auf ihre Körper, auf ihre Wünsche, auf ihr Leben zugreift. Vom obligatorischen Kopftuch bis hin zum eingeschränkten Zugang zu Bildung und zu Beschäftigungsmöglichkeiten werden Frauen systematisch unterdrückt, zum Schweigen gebracht und müssen ein benachteiligtes Leben führen. Die in Iran patriarchal-religiös strukturierte Familie ist für die Ideologie der islamischen Republik zentral. Die familiäre Gemeinschaft dient als Gegenbild zum dämonisierten westlichen Kapitalismus und soll den Individuen trotz ökonomischer Unsicherheit Halt und identitäre Orientierung bieten.

Die Proteste in Iran verbinden soziale Kämpfe intersektional miteinander und streben so einen Systemwandel an: Sie verbinden den Kampf gegen patriarchale Unterdrückung mit dem Kampf für politische Freiheit und Aufbegehren gegen religiöse Herrschaft mit der Ablehnung kapitalistischer Ausbeutung. Das Kopftuch ist dabei zum Symbol dieser Proteste geworden. Die iranische Feministin Masih Alinejad, die seit 2009 in den USA im Exil lebt und immer wieder den Auftragsmördern des iranischen Regimes entkommen muss, nennt das Kopftuch „die wichtigste Säule der religiösen Diktatur“. Das Ablegen, Abwerfen oder Verbrennen des Kopftuchs ist zum Symbol für weibliche Selbstbestimmung, ein Ausdruck des Ausrufes „My Body, My Choice“ geworden. Die Proteste sind außerdem ein Kampf gegen das kapitalistische Patriarchat: Streiks und Arbeitskämpfe gegen kapitalistische Produktionsverhältnisse sind ein zentrales Element der Proteste. Die Arbeiter*innenschaft ist immanenter Bestandteil der Protestbewegung. Der iranische Protest, der es schafft, Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt auf unterschiedlichen Ebenen zu bekämpfen und diese im Kampf miteinander zu verbinden, zeigt, dass der Kampf für weibliche Selbstbestimmung intersektional geführt werden und es ihm dabei um die grundsätzliche Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der kapitalistischen Moderne gehen muss. Dafür müssen die gegenseitige Durchdringung und Überlagerung von Ideologien herausgearbeitet werden und für einen Kampf gegen diese Ideologien und Herrschaftsformen fruchtbar gemacht werden.

Aus dem intersektionalen iranischen Kampf sollten wir daher lernen: Gegen internationale patriarchale Unterdrückung und Unterwerfung zu kämpfen, heißt die Rolle des religiösen Fundamentalismus und dessen Einbettung in kapitalistische Produktionsverhältnisse zu erkennen. Feministinnen in Deutschland sollten von den Protesten in Iran folglich lernen, religiöse Identitätspolitiken nicht zu unterstützen, das Kopftuch nicht zum anti-westlichen Widerstandssymbol zu verklären und vor allem nicht die patriarchale Unterdrückung zu verkennen, die vom islamischen Fundamentalismus auch in deutschen Moscheen ausgeht. Das heißt: Weil wir der Ansicht sind, dass Religion und die ökonomischen Rahmenbedingungen der Gesellschaft mit dem Patriarchat verwoben sind, sollte ein intersektionaler feministischer Kampf gleichzeitig ein Kampf für eine säkulare Gesellschaft und für die Überwindung kapitalistischer Produktions- und Herrschaftsverhältnisse sein.

Doch die Spezifik der iranischen Kämpfe darf nicht unbeachtet bleiben und sie dürfen nicht umstandslos auf die Kämpfe in Deutschland umgemünzt werden. Dass politische Debatten um das Kopftuch in Deutschland von Rassismus und Sexismus geprägt sind, sollte stets herausgearbeitet werden: Warum muslimisch geprägte Symbole und religiöse Unterdrückung kritisiert werden, sollte stets hinterfragt werden.

Als Feminist*innen müssen wir uns mit internationalen emanzipatorischen Kämpfen solidarisch zeigen und uns mit diesen Kämpfen in Bezug setzen. Nicht nur heute, sondern alle Tage. Für den Sieg der iranischen Revolution, Jin Jiyan Azadi!

Redebeitrag 15.05.21 // Kundgebung “Gegen jeden Antisemitismus – Solidarität mit Israel”

Hey, wir sind von Utopie und Praxis Leipzig und wollen uns heute im nachfolgenden Redebeitrag etwas wegbewegen von den genauen Geschehnissen in Nahost hin zum Verhältnis der hiesigen Linken zu Israel.

Wenn man sich dieser Tage durch die Sozialen Medien bewegt, begegnen einem schnell die krudesten Behauptungen, Verfälschungen und Narrative, welche doch von einer geradezu erschreckenden Ignoranz zeugen, mit der antisemitische Ressentiments nett umschmückt in Infografiken verbreitet werden.

Auch in scheinbar neutral daherkommenden Posts à la “man möchte ja keine Partei ergreifen, beide Seiten sind irgendwie schwierig” sehen wir eine große Gefahr. Schon allein die Gleichstellung der Angriffe der Hamas, einer islamistischen Terrororganisation, welche antisemitische Vernichtungsphantasien propagiert, mit der israelischen Selbstverteidigung ist untragbar. Diese Dynamik konnte auch in den Kommentarspalten und Telegram-Gruppen beobachtet werden, in denen diese Kundgebung beworben wurde. Die Feststellung, dass Israel ein bürgerlicher Rechtsstaat, mit all seinen Unzulänglichkeiten ist, wird hier zu Gunsten der Legitimierung freiheitsfeindlicher Ansichten aufgegeben.
Das unverrückbare Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels als jüdischer Schutzraum kommt vielen selbsternannten Linken nicht über die Lippen, ohne mit einem Whataboutism anzufangen. Dabei wird sonst immer schnell entschieden Partei ergriffen für Menschen die Diskriminierung erfahren – und das soll auch weiterhin so bleiben – die Frage, wo die Solidarität mit den Menschen bleibt, die in Israel beschossen werden, aber auch denen, die sich in Gaza der Hamas entgegenstellen und dafür um ihr Leben fürchten müssen, bleibt oftmals unbeantwortet.
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Statement & Unterzeichnung “Wir sind alle Linx”

Wir unterzeichnen und bewerben die Kampagne, weil wir trotz einiger Kritikpunkte am „Leipziger Aufruf 2021“ unsere Solidarität mit den von Repression betroffenen Antifaschist*innen zum Ausdruck bringen möchten. Wir teilen die Kritik an der haarsträubenden Unverhältnismäßigkeit, mit der Linke strafrechtlich verfolgt werden, während eine mit rechten Akteuren mehr als nur verstrickte Polizei und die Justiz bei der Verfolgung von Rechten eine, wie es im Aufruf heißt, geradezu verstörende Nachlässigkeit zeigen. Nicht überraschen dürfte, dass es uns großes Unbehagen bereitet, mit Parteien wie der DKP auf einer Unterzeichner*innenliste zu stehen. Diskutabel am Aufruf finden wir außerdem, dass mit Parolen wie „Wir sind alle Antifa“ im Zusammenspiel mit der (natürlich unterstützenswerten) Forderung nach staatlicher Förderung von zivilgesellschaftlichem Antifaschismus unterschlagen wird, dass antifaschistische Arbeit und Antifa-Gruppen sich (zum Glück) vielerorts in ihrer Kritik und ihren Aktivitäten sehr von bürgerlichen Bündnissen gegen Rechts unterscheiden. Sie tun eben mehr als „nur“ gegen Rechts zu kämpfen. Solche Formulierungen können zu einer gewissen Entpolitisierung und Verwässerung der Pluralität und vor allem der Schärfe von linker Politik führen, die wir aber als äußerst wichtig und verteidigenswert empfinden. Daher wollen wir uns in nächster Zeit als Gruppe mit dieser Frage etwas intensiver auseinandersetzen. Außerdem möchten wir kritisieren, dass der Aufruf mit dem Zitat des Schwurs von Buchenwald endet. Ohne die Notwendigkeit, rechten Akteuren mit allen notwendigen Mitteln das Handwerk zu legen und die wachsende Bedrohung durch faschistische Kräfte in irgendeiner Form kleinreden zu wollen, finden wir, dass die Verwendung des Zitats hier sehr instrumentell wirkt.

Redebeitrag 17.04.21 // Kundgebung “Solidarität mit den emanzipatorischen Kämpfen in China” (+ English Version)

Bild der Kundgebung von 左回声 Left Echo und Nika Sachsen

[For English version, please see below!]

Hi, wir sind Utopie und Praxis Leipzig und wollen uns heute in unserem Redebeitrag der ökonomischen Entwicklung Chinas hin zum kapitalistischen Staat, dem Zustand der chinesischen Arbeiter*innenklasse, ihrer globalen Bedeutung und ihren Bestrebungen, sich von ausbeuterischen, kapitalistischen Verhältnissen zu emanzipieren, beschäftigen. Wir wollen an dieser Stelle kurz erwähnen, dass wir hier keinen Rundumschlag einer Kritik am chinesischen Staat liefern können und fokussieren uns deshalb weitest möglich. Im Folgenden beschäftigen wir uns erst einmal mit der Geschichte des Landes.

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Redebeitrag 19.09.2020 // Kundgebung “Erst der Leuchtturm dann das Rittergut – Faschozentren dichtmachen!”

Nachdem wir im März diesen Jahres bei unserem Redebeitrag anlässlich des Flügetreffens auf den grassierenden Antisemitismus in der Neuen Rechten und im Besonderen bei Kubitschek selbst eingegangen sind, wollen wir dieses Mal mit einem anderen Exkurs fortsetzen.

Die “Sommerakademie”, welche hier gerade stattfindet, ist dieses Jahr in sehr unterschiedliche, ablaufende Prozesse eingebettet. So erlosch die von Kubitschek herbeigesehnte “Strahlkraft” des IB-Hauses in Halle, als es im Mai endlich endgültig geräumt wurde. Aber nicht nur in Halle, auch generell scheint die IB in Deutschland in ihren letzten Zügen zu sein. Das sieht auch Götz Kubitschek so, der als Mentor mit Sellner die IB in Deutschland maßgeblich geprägt hat – sie jetzt aber als ein, seiner Aussage nach, gescheitertes Projekt zu den Akten legen muss. [1]

Auch die Beobachtung des IfS durch den Verfassungsschutz seit April diesen Jahres war ein eventueller Einschnitt. Ob eine Einstufung als Verdachtsfall deren Arbeit wirklich erschwert, bleibt abzuwarten. Vor allem als Linke sollte sich aber nicht auf den VS verlassen werden. Weiterhin ist der sogenannte Flügel der AfD, der sich noch im März hier in Schnellroda getroffen hat, nach einer Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden zumindest offiziell aufgelöst. [2]

Nicht die ersten und einzigen Kratzer am “Götzenbild”. Bereits 2014 verließ der Mitgründer des IfS und einer der führenden Denker der Neuen Rechten, Karlheinz Weißmann, das selbsternannte Institut sowie die IfS-Zeitschrift “Sezession”. In einem Interview erklärt der nicht weniger problematische Weißmann, dass die dauernden Alleingänge Kubitscheks, seine notorische Unzuverlässigkeit, wenn es um Absprachen ging und die permanente Grenzüberschreitung Gründe für den Bruch waren. [3] Klingt nach viel, nur nicht nach der selbstverordneten Disziplin, die Kubitschek im Dokumentarfilm “Kleine Germanen” von seinen Kindern einfordert. [4]

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Hongkongs neues „Sicherheitsgesetz“

Am 30. Juni 2020 wurde das sogenannte „Sicherheitsgesetz“ ohne Diskussion einstimmig durch den Ständigen Ausschuss des Volkskongresses in Peking (China) verabschiedet. Im Namen der nationalen Sicherheit soll nun gegen vermeintlich subversive, terroristische und separatistische Aktivitäten sowie solche, die als ausländische Einmischung gelten, vorgegangen werden. Dies hat verheerende Konsequenzen. So erhalten Sicherheitsorgane des chinesischen Festlandes in Hongkong mehr Befugnisse. Außerdem wird eine Auslieferung nach China möglich, was die Protestbewegung, die sich ab Juni 2019 formierte, bereits durch das geplante Auslieferungsgesetz befürchtete. Der Mangel an inhaltlicher Transparenz hat schon jetzt zur Folge, dass Demokratie-Aktivist*innen ins Ausland flüchteten, sich die Pro-Demokratie-Partei „Demosisto“ selbst auflöste und Festnahmen aufgrund des „Sicherheitsgesetztes“ durchgeführt wurden.
Der Autonomiestatus von Hongkong wird immer weiter von der chinesischen Zentralregierung beschnitten, was zu einer Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit führt. Das Gesetz erzeugt Verunsicherung, trägt damit zur Eindämmung der Debattenkultur bei und kriminalisiert fast jeglichen Widerstand.  
Mit unserer Plakatreihe wollen wir auf die extreme Beschränkung der Freiheit aufmerksam machen und in diesem Zuge den repressiven und autoritären chinesischen Staat kritisieren und verurteilen. Freiheit ist weder westlich noch östlich, sondern universal! 

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Interview // Punkwerkxxkammer zur Selbstorganisierung von obdachlosen Menschen

Weiterführende Links zur Punkswerkxxkammer: Facebook  // Blog


Hey. Schön, dass es geklappt hat. Wollt ihr euch zu Beginn einmal kurz vorstellen?

Hallo, ja. Wir sind die Punkwerkxxkammer. Wir sind ein Verein, gegründet von betroffenen Obdachlosen im Innenstadtbereich, speziell des Hauptbahnhofs Leipzig, die sich quasi selbst organisiert haben und sich selbst aus der Misere ziehen wollen. Und dabei aber auch Anderen, also auch anderen Betroffenen mithelfen wollen. Also Hilfe zur Selbsthilfe. Das ist unser großes Ziel.

Wann habt ihr euch gegründet?

Unsere Gründung war am 21.09.2018 und e. V. sind wir jetzt seit dem 15.03.2019.

Anfangs hattet ihr ein anderes Objekt. Wie kam es, dass ihr jetzt hier seid?

Am Anfang hatten wir noch ein Haus auf dem Gelände des Hauptbahnhofs, die G3. Der Eigentümer hatte sich dann mit uns in Verbindung gesetzt und hat uns quasi das hier als Vergleichsobjekt angeboten. Also dass wir dahinten rausgehen. Das Haus sollte umgebaut werden zu einem Kindergarten – so scheiße sind wir dann ja auch nicht – und da haben wir gesagt okay, und dann haben wir von ihm das Objekt bekommen, was auch ihm gehört. Und das jetzt war der Traum. Eine Verbesserung. Nichts gegen unsere heißgeliebte G3, aber wir haben versucht, da ein paar Umbaumaßnahmen zu starten, aber da sollen mal lieber die Profis dran.

Gab es einen bestimmten Anlass für die Gründung der Punkwerkxxkammer?

Ja, wir hatten alle hier oben auf dem Gelände des Bahnhofs gewohnt, und ja, da sieht man ja, was draus geworden ist. Und wir wollten uns nicht einfach so vertreiben lassen. Und man ist als Gruppe natürlich stärker als ein Einzelner und als Verein hat man in Deutschland ja noch ein paar andere Rechte. Und so haben wir uns selbst organisiert und dann mal schauen, was wir reißen können. Immer nur auf der Stelle treten, das bringt ja auch nichts.
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Interview // Lucius Teidelbaum zu Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus

Weiterführende Links zu Lucius Teidelbaum: Literatur // Twitter


Magst du dich kurz vorstellen?

Ja, gern. Mein Name ist Lucius Teidelbaum. Ich bin freier Journalist, Buchautor und Bildungsreferent mit dem Schwerpunkt extreme Rechte. Im Jahr 2013 habe ich im Unrast-Verlag das Buch „Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus“ veröffentlicht.
Ich möchte am Anfang nochmal darauf hinweisen, dass ich nie wohnungslos gewesen bin und mir auch nicht anmaße im Namen von Wohnungslosen zu sprechen. Wenn ihr auf die Erfahrungen von Wohnungslosen zugreifen wollt, dann müsst ihr mit ihnen direkt sprechen.

Wie kam es dazu, dass du dich mit dem Thema Obdachlosigkeit und Obdachlosenhass beschäftigst?

Zum einem habe ich in einem Nebenjob immer wieder mit Wohnungslosen und Obdachlosen zu tun. Zum anderen kam das durch meine Beschäftigung mit der extremen Rechten. Mir ist aufgefallen das Wohnungslose und Obdachlose eine Opfergruppe rechter Gewalt sind. Ein Umstand, der nur wenig Aufmerksamkeit erfährt.

Gab es besondere Erlebnisse während deiner Arbeit zu diesem Thema?

Nein, aber ich musste mal als Jugendlicher in Dresden hilflos aus der Entfernung mit ansehen wie drei Jugendliche einen älteren Obdachlosen an einer Haltestelle verhöhnten und ihn mit Bierdosen bekickten. Das hat mich schon damals sehr wütend gemacht.
Außerdem habe ich später im Rahmen eines Praktikums bei einer Beratung für Opfer rechter Gewalt mal versucht einen Obdachlosen, den ich zuvor zufällig in der Bahn getroffen und der mir von einem Angriff berichtet hatte, ausfindig zu machen. Leider ohne Erfolg. Da ist mir aufgegangen, wie schwierig der Umgang mit Gewalt für Obdachlose ist. Schwierige Erreichbarkeit für Unterstützung, das Dauer-beschäftigt-sein mit dem eigenen Überleben (Pennplatz, Essen, Geld, Hygiene etc.) und die Schutzlosigkeit auf der Straße vor Übergriffen.
Daraus wurde dann die Beschäftigung mit dem Thema und schließlich das Buch.

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Redebeitrag 30.05.20 // Demo “Solidarität statt rechte Hetze” (JgR Leipzig)

Am 18. Mai auf dem Spaziergang der Corona-Leugner*innen in Leipzig: Durch ein Megafon fiel der Spruch “Zeigt uns das Virus, dann zeigen wir euch unsere Masken”. Hier wollen wir erstmal ansetzen. Dieser Ausspruch transportiert eine in hohem Maße wissenschaftsfeindliche Haltung und ebenfalls das Unvermögen bzw. die fehlende Bereitschaft, Verhältnisse anzuerkennen, die nicht mit den eigenen Augen sichtbar sind. Frei nach dem Motto, was ich nicht sehe, kann nicht wahr sein. Obwohl dieses Motto wahrscheinlich auch darum erweitert werden kann: Was ich nicht sehen WILL, kann nicht wahr sein.

Im Weiteren bevorzugen wir deshalb deren Bezeichnung als Verschwörungserzählungen bis Verschwörungsideologien und nicht -theorien. Das Festhalten an den Erzählungen trotz eindeutiger unabhängiger Gegenbeweise und die perfide Feindseeligkeit gegenüber Allem, was scheinbar nicht verstanden werden kann, oder werden will deutet mehr auf die Konstruktion einer Verschwörungsideologie hin. Gegenargumente und Fakten werden von vornherein delegitimiert und als “Propaganda” der Gegenseite degradiert. Wer von Fake-News und einer gesteuerten Lügenpresse schwadroniert, braucht sich nicht mit Argumenten auseinandersetzen.

À la – täglich grüßt die antisemitische Querfront – stellen sich diese Proteste in eine Reihe mit beispielsweise den Friedensdemos, die ab 2014 im Zuge des Ukraine-Russland-Konflikts auftraten. Wobei es der Begriff “Querfront” für Leipzig eventuell nicht ganz trifft, da es diskutabel ist, welchen Einfluss selbstbezeichnende Linke hier in der Protestorganisierung haben. [1] Never the less: Diese scheinbar immer neuen Bewegungen greifen immer wieder auf etablierte Strukturen und Akteure zurück, wie beispielsweise der immer noch umtriebige Ken Jebsen, der seit 2011 öffentlichkeitswirksam Verschwörungserzählungen anbietet. Oder auch auf die unzähligen wirren Youtube-Channels, die fleißig eine scheinbare Erleuchtung mit ihrem Wahn verwechseln.

Das Publikum der Demos ist dabei durchaus divers und auch regional verschieden. Da gibt es esoterische, im schlechtesten Fall als links bezeichnete Menschen, die vom Impfen noch nie etwas gehalten haben, „natürliche“ Selektion abfeiern und mit Liebe, Tanz, Globuli und den Sternen mögliche Krankheiten heilen, die ja sowieso durch das Schicksal vorgegeben seien. Dann treffen sich dort weiterhin die „besorgten“ Bürger*innen, die ihren allgemeinen Unmut über ihre Lebenssituation kundtun wollen, und sich dafür nicht zu fein sind, neben der dritten Gruppe, den bekennenden Neonazis zu laufen und ihnen den Schein eines bürgerlichen Anschlusses zu geben.

Im Wissen vereint, dass eine kleine Elite die ganze Welt kontrollieren würde, treibt der Unwille zur Beschäftigung mit komplexen kapitalistischen Strukturen ihre Ideen weiter voran. Versuchen Teile ihre Gedanken noch hinter Floskeln von „denen da oben“ oder dem „Finanzkapital“ zu verstecken, brüllen andere geradezu euphorisch „die Juden“ oder „die zionistische Lobby“ in die Kameras der Rundfunksender oder wahlweise auch in die Gesichter sächsischer Spitzenpolitiker*innen. [2] Antisemitismus mit der Kitt-Funktion aus dem Querfront-Baukasten wird von den meisten Menschen, die wöchentlich gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie auf die Straße gehen, in unterschiedlicher Intensität genutzt.

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Redebeitrag 06.03.20 // Demo gegen das “Flügel”-Treffen in Schnellroda

Wir sind von Utopie und Praxis Leipzig und wollen mit dem folgenden Redebeitrag auf ein paar uns wichtige Aspekte zum heutigen „Flügel“-Treffen eingehen.

Am 5. Februar sorgte die Wahl von Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten für deutschlandweites Aufsehen. Nur mit den Stimmen der Thüringer AfD war das für den Vorsitzenden einer 5-%-Partei möglich. Dass diese taktische Wahl von einem Faschisten wie Höcke angeführt wurde, der auch heute hier beim Flügeltreffen dabei ist, schien dem Machtstreben kein Hindernis zu sein.

Die Recherche zu den genauen Abläufen der Wahl dauert aktuell noch immer an. Es kam bisher u.a. heraus, dass der Berater von Mohring, dem Thüringer CDU-Vorsitzenden, in der selben Verbindung, der protofaschistischen “Deutschen Gildenschaft” wie Kubitschek war. [1] Dass wiederum Höcke und Kubitschek eine enge, vor allem ideologische, Verbindung zueinander haben, sieht man unter anderem an Veranstaltungen wie dem heutigen Flügeltreffen.
Björn Höcke beschrieb, dass er aus den Veröffentlichungen des Instituts sein „geistiges Manna“ ziehe und Schnellroda für ihn „eine Oase der geistigen Regeneration” sei. [2]

Da wir hier in Schnellroda sind, wollen wir natürlich auch auf Götz Kubitschek eingehen. Sein Blick auf die AfD geht vermutlich eher aus einer strategischen Perspektive hervor. So bezeichnete er sie als “der parteipolitische Baustein” in einem für ihn “immer stabiler werdenden Widerstandsmilieu”, zu dem beispielsweise auch “Pegida” und die Initiative “Ein Prozent” gehören. [3] Kubitscheks Einfluss ist in vielen Facetten deutlich spürbar. Allerdings äußert er sich offen antisemitisch. Hier wird tatsächlich eine Differenz zur öffentlich vorgetragenen Meinung der AfD-Führung deutlich. Das betrifft sowohl direkt antisemitische Äußerungen, inklusive seinem Verhältnis zu Israel.

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