Redebeitrag 15.05.21 // Kundgebung “Gegen jeden Antisemitismus – Solidarität mit Israel”

Hey, wir sind von Utopie und Praxis Leipzig und wollen uns heute im nachfolgenden Redebeitrag etwas wegbewegen von den genauen Geschehnissen in Nahost hin zum Verhältnis der hiesigen Linken zu Israel.

Wenn man sich dieser Tage durch die Sozialen Medien bewegt, begegnen einem schnell die krudesten Behauptungen, Verfälschungen und Narrative, welche doch von einer geradezu erschreckenden Ignoranz zeugen, mit der antisemitische Ressentiments nett umschmückt in Infografiken verbreitet werden.

Auch in scheinbar neutral daherkommenden Posts à la “man möchte ja keine Partei ergreifen, beide Seiten sind irgendwie schwierig” sehen wir eine große Gefahr. Schon allein die Gleichstellung der Angriffe der Hamas, einer islamistischen Terrororganisation, welche antisemitische Vernichtungsphantasien propagiert, mit der israelischen Selbstverteidigung ist untragbar. Diese Dynamik konnte auch in den Kommentarspalten und Telegram-Gruppen beobachtet werden, in denen diese Kundgebung beworben wurde. Die Feststellung, dass Israel ein bürgerlicher Rechtsstaat, mit all seinen Unzulänglichkeiten ist, wird hier zu Gunsten der Legitimierung freiheitsfeindlicher Ansichten aufgegeben.
Das unverrückbare Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels als jüdischer Schutzraum kommt vielen selbsternannten Linken nicht über die Lippen, ohne mit einem Whataboutism anzufangen. Dabei wird sonst immer schnell entschieden Partei ergriffen für Menschen die Diskriminierung erfahren – und das soll auch weiterhin so bleiben – die Frage, wo die Solidarität mit den Menschen bleibt, die in Israel beschossen werden, aber auch denen, die sich in Gaza der Hamas entgegenstellen und dafür um ihr Leben fürchten müssen, bleibt oftmals unbeantwortet.

Die Hamas scheint auch generell eher ein rotes Tuch zu sein, sie hat sich nun mal dem Kampf gegen Israel verschrieben. Auch wenn es so öffentlich wie bei Judith Butler, die sie als Teil der globalen Linken sah, selten ausgedrückt wird. 2

Dass Israel ein so beliebtes Thema bei Linken ist, liegt auch an der Tabuisierung offener Judenfeindschaft in linken Kreisen und dem Mangel an konkreten Hassobjekten. Dann ist der Staat Israel als der kollektive Jude dran, wie Stefan Grigat in seinem sehr lesenswerten Text „Persistenz des Antizionismus“ schreibt. Die linke Tradition des Antizionismus geht bis in die 1920er Jahre zurück, als damals beispielsweise von der KPD „progromartige Ausschreitungen gegen Juden im Mandatsgebiet Palästina zu einem ,antiimeperialistischen Aufstand‘ verklärt und als solcher auch offen unterstützt“ wurden.” 3
Adäquat zum Antisemitismus liegt dem Antizionismus eine Verübelung von Erfolg und scheinbarer Überlegenheit zu Grunde. Das kann, mit Grigats Worten gesprochen „den Schein des Rebellischen und die Aura moralischer Dignität geben, der ihn gerade für Linke interessant macht.“ Die in Bezug auf den eigenen Antisemitismus zwischen Abwehr und Desinteresse schwankende Linke, wendet sich dann doch lieber weltbildbestätigenden Texten zu, die besser integrierbar in die naive Vorstellung von Gerechtigkeit sind. Als Beispiel fungiert hier der kürzlich erschienene, ellenlange Text von Fabian Wolff aus der Zeit, welcher sich breiter Zustimmung erfreute und mit emotionalen Statements weiterempfohlen wurde: Endlich wird der eigene Israelhass legitimiert, da Wolff selbst Jude ist.4
Wolff fantasiert hier die Hegemonie einer israelsolidarischen Linken herbei, bei der jedweder Antizionismus (in seinen Worten Kritik an Israel) immer direkt kritisiert wird. Ein utopischer Zustand, wie wir gerade wieder in besonderer Deutlichkeit sehen.
Neben dem äußerst problematischen Freibrief für die BDS-Bewegung ist auch die von ihm getätigte Einordnung von Antisemitismus als eine Spielart des Rassismus schlichtweg falsch und muss entschieden zurückgewiesen werden. Die wahnhaften Elemente und der inhärente Vernichtungsgedanke, in den der Wahn mündet, sind eine antisemitische Spezifik.5 Bei dieser Unterscheidung geht es – die ständige Wiederholung dessen wirkt schon fast redundant, das Gefühl, es immer wieder deutlich machen zu müssen bleibt aber – nicht um eine Hierarchisierung von Diskriminierungsformen, sondern darum Antisemitismus zu begreifen.

Yevgen Bruckmann von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover und Moritz Meier von der Jüdischen Hochschulgruppe Bielefeld haben diese Woche in der TAZ eine lesenswerte Antwort auf Wolffs Essay formuliert. Problem nur: der Widerstand zur Rezeption muss erst einmal durchbrochen werden.6
Dies zu schaffen sehen wir als eine Aufgabe, der auch im eigenen Umfeld begegnet werden muss, auch wenn die Grenzen der Aufklärung sicher auch schnell erreicht sein werden. Fundiertes Wissen zu Antisemitismus gibt es reichlich, diesen Stand zu verteidigen ist wichtig und Bildungsarbeit muss weiterhin unterstützt werden.

Eine fortschrittliche Linke muss sich in dieser wie jeder anderen Situation aber auch daran messen, den emanzipatorischen Kompass nicht zu verlieren. Rassistische Ressentiments und Parolen werden wir auch nicht im Gewand der Solidarität mit Israel dulden.
Hier müssen klare Linien gezogen werden, hinter die es nicht zurückgeht.

Abschließend bleibt nur noch zu sagen: Solidarität mit Israel und gegen jeden Antisemitismus!

1 https://jungle.world/blog/von-tunis-nach-teheran/2021/05/gaza-wir-weigern-uns-feinde-zu-sein

2 ausführliches Interview mit Butler jungle.world/artikel/2010/30/diesem-kam….

3 (S. 43, Sans Phrase Nummer 9 hier zum kostenlosen Download, auch mit weiteren sehr guten Artikeln zu Antizionismus: https://www.ca-ira.net/verlag/buecher/sansphrase-9/

4 https://www.zeit.de/kultur/2021-04/judentum-antisemitismus-deutschland-israel-bds-fabian-wolff-essay/komplettansicht

5 (Siehe dazu Kanitz, M. & Schlagheck, L.: Wahn und Vorurteil: Warum zwischen Antisemitismus und Rassismus unterscheiden?. In: Salzborn, S.: Schule und Antisemitismus (S. 85-110))

6 https://taz.de/!5766250/