Am 18. Mai auf dem Spaziergang der Corona-Leugner*innen in Leipzig: Durch ein Megafon fiel der Spruch “Zeigt uns das Virus, dann zeigen wir euch unsere Masken”. Hier wollen wir erstmal ansetzen. Dieser Ausspruch transportiert eine in hohem Maße wissenschaftsfeindliche Haltung und ebenfalls das Unvermögen bzw. die fehlende Bereitschaft, Verhältnisse anzuerkennen, die nicht mit den eigenen Augen sichtbar sind. Frei nach dem Motto, was ich nicht sehe, kann nicht wahr sein. Obwohl dieses Motto wahrscheinlich auch darum erweitert werden kann: Was ich nicht sehen WILL, kann nicht wahr sein.
Im Weiteren bevorzugen wir deshalb deren Bezeichnung als Verschwörungserzählungen bis Verschwörungsideologien und nicht -theorien. Das Festhalten an den Erzählungen trotz eindeutiger unabhängiger Gegenbeweise und die perfide Feindseeligkeit gegenüber Allem, was scheinbar nicht verstanden werden kann, oder werden will deutet mehr auf die Konstruktion einer Verschwörungsideologie hin. Gegenargumente und Fakten werden von vornherein delegitimiert und als “Propaganda” der Gegenseite degradiert. Wer von Fake-News und einer gesteuerten Lügenpresse schwadroniert, braucht sich nicht mit Argumenten auseinandersetzen.
À la – täglich grüßt die antisemitische Querfront – stellen sich diese Proteste in eine Reihe mit beispielsweise den Friedensdemos, die ab 2014 im Zuge des Ukraine-Russland-Konflikts auftraten. Wobei es der Begriff “Querfront” für Leipzig eventuell nicht ganz trifft, da es diskutabel ist, welchen Einfluss selbstbezeichnende Linke hier in der Protestorganisierung haben. [1] Never the less: Diese scheinbar immer neuen Bewegungen greifen immer wieder auf etablierte Strukturen und Akteure zurück, wie beispielsweise der immer noch umtriebige Ken Jebsen, der seit 2011 öffentlichkeitswirksam Verschwörungserzählungen anbietet. Oder auch auf die unzähligen wirren Youtube-Channels, die fleißig eine scheinbare Erleuchtung mit ihrem Wahn verwechseln.
Das Publikum der Demos ist dabei durchaus divers und auch regional verschieden. Da gibt es esoterische, im schlechtesten Fall als links bezeichnete Menschen, die vom Impfen noch nie etwas gehalten haben, „natürliche“ Selektion abfeiern und mit Liebe, Tanz, Globuli und den Sternen mögliche Krankheiten heilen, die ja sowieso durch das Schicksal vorgegeben seien. Dann treffen sich dort weiterhin die „besorgten“ Bürger*innen, die ihren allgemeinen Unmut über ihre Lebenssituation kundtun wollen, und sich dafür nicht zu fein sind, neben der dritten Gruppe, den bekennenden Neonazis zu laufen und ihnen den Schein eines bürgerlichen Anschlusses zu geben.
Im Wissen vereint, dass eine kleine Elite die ganze Welt kontrollieren würde, treibt der Unwille zur Beschäftigung mit komplexen kapitalistischen Strukturen ihre Ideen weiter voran. Versuchen Teile ihre Gedanken noch hinter Floskeln von „denen da oben“ oder dem „Finanzkapital“ zu verstecken, brüllen andere geradezu euphorisch „die Juden“ oder „die zionistische Lobby“ in die Kameras der Rundfunksender oder wahlweise auch in die Gesichter sächsischer Spitzenpolitiker*innen. [2] Antisemitismus mit der Kitt-Funktion aus dem Querfront-Baukasten wird von den meisten Menschen, die wöchentlich gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie auf die Straße gehen, in unterschiedlicher Intensität genutzt.
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