Redebeitrag 17.04.21 // Kundgebung “Solidarität mit den emanzipatorischen Kämpfen in China” (+ English Version)

Bild der Kundgebung von 左回声 Left Echo und Nika Sachsen

[For English version, please see below!]

Hi, wir sind Utopie und Praxis Leipzig und wollen uns heute in unserem Redebeitrag der ökonomischen Entwicklung Chinas hin zum kapitalistischen Staat, dem Zustand der chinesischen Arbeiter*innenklasse, ihrer globalen Bedeutung und ihren Bestrebungen, sich von ausbeuterischen, kapitalistischen Verhältnissen zu emanzipieren, beschäftigen. Wir wollen an dieser Stelle kurz erwähnen, dass wir hier keinen Rundumschlag einer Kritik am chinesischen Staat liefern können und fokussieren uns deshalb weitest möglich. Im Folgenden beschäftigen wir uns erst einmal mit der Geschichte des Landes.

Nach Maos Tod wurde vom neuen obersten Führer der Volksrepublik China, Deng Xiaoping, Ende der 1970er Jahre, eine Reform- und Öffnungspolitik eingeleitet. Diese ebneten den Weg für die Entwicklung weg von einer Plan- hin zur Marktwirtschaft.
Der Reformprozess betraf als erstes die Landwirtschaft. Das Land blieb zwar in staatlicher Hand, landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften wurden aber aufgelöst. Das Land wurde Einzelnen zugewiesen, die damit eigenverantwortlich, also privatwirtschaftlich, arbeiten mussten. Viele Familien konnten nicht ausreichend verdienen, sodass Flächen verkauft wurden und sich bei einzelnen Akteur*innen konzentrierten.

Wie der Politikwissenschaftler Thomas Sablowski schreibt, war das Ergebnis dieser Prozesse “eine enorme Freisetzung von Arbeitskräften und eine Trennung vieler Bauern von ihren Produktionsmitteln. Dadurch bildete sich eine ganz neue Klassenstruktur heraus. Dieser Prozess glich der von Marx beschriebenen so genannten „ursprünglichen“ Akkumulation, aber im Unterschied zu England wiederholte sich dieser Prozess in China in viel größerem Maßstab und betraf Hunderte Millionen Menschen, die ihre Lebensgrundlage auf dem Land verloren.”1
Durch die hohe Anzahl freigewordener Arbeitskräfte, welche sich oft als Wanderarbeiter*innen verdingten, wurde eine hohe Konkurrenz unter den Arbeitenden geschaffen. Die Löhne konnten sehr niedrig gehalten werden und es gab “frühkapitalistische Ausbeutungsbedingungen wie etwa überlange Arbeitszeiten”.2
Schlüsselkomponente der zu der Zeit stattfindenden weltweiten neoliberalen Umstrukturierung war also die massive Expansion billiger Arbeitskraft. Es begann eine Abwanderung großer Teile der Industrieproduktion aus den westlichen Volkswirtschaften. Allein die Drohung dieser möglichen Abwanderung ermöglichte es zudem die westliche Arbeiter*innenklasse zu niedrigeren Löhnen und prekäreren Arbeitsbedingungen zu zwingen. Dieses Machtinstrument zeigte sich ebenfalls im Druck auf Regierungen Sozialabgaben abzubauen und Steuern auf Gewinne zu senken. Chinas Entwicklung, aber auch Indiens „Liberalisierungsreform“ und der Zusammenbruch des sowjetischen und osteuropäischen Realsozialismus führte dazu, dass sich die der kapitalistischen Akkumulation zur Verfügung stehende Arbeiter*innenschaft verdoppelte. So entstand als Nebenprodukt der neoliberalen globalen Restrukturierung eine neue massiv prekarisierte Arbeiter*innenklasse in weiten Teilen der Welt, besonders in China. Weitere Einschnitte in der Entwicklung des jetzigen chinesischen Systems waren zu Beginn der 1980er Jahre die Abschaffung des Streikrechts und das Ende des Prinzips der “Eisernen Reisschale”, welches bis dahin eine grundlegende soziale Sicherung garantieren sollte.

Auf die Frage, wie sich Chinas Wirtschaftssystem nun am besten einordnen lässt, gibt es unterschiedliche Antworten. 1992 wurde vom 14. Parteikongress die “sozialistische Marktwirtschaft”, eine Theorie von Deng, akzeptiert. Der schon zitierte Thomas Sablowski gibt die Einschätzung, “dass in China heute die kapitalistische Produktionsweise dominiert und man nicht von einem sozialistischen Land sprechen kann, nur weil dort eine nominell kommunistische Partei regiert.”3 Die Wiedereinführung der Arbeitskraft als Ware und die Abschaffung von lebenslanger Sicherung durch das Konzept der eisernen Reisschale deuten auf einen Bruch mit den vermeintlich sozialistischen bzw. kommunistischen Ideen.

Es ist auffällig, dass in linker Literatur zur Kritik am chinesischen Kapitalismus häufig eine maoistische Position eingenommen wird. Die Zeit vor der Umstrukturierung wird glorifiziert und die Gewalt der Kulturrevolution einfach mal übersehen. Davon wollen wir uns klar abgrenzen! Auch, dass in Leipziger Szenevierteln chinakritische Plakate abgerissen oder wahlweise auch gezielt mit “Hammer und Sichel” übermalt werden, ist nicht nur in Anbetracht der systematischen Menschrechtsverletzung an den Uiguren unerträglich.

Wir wollen nun die aktuelle Situation von Arbeitskämpfen betrachten. In der jüngeren Vergangenheit gab es in China immer wieder größere Streiks. Gründe waren unter anderem Arbeitsrechtsverletzungen oder schlechte Arbeitsbedingungen. Die häufigsten Arbeitsrechtsverletzungen, die man aktuell in China findet, beschreibt Li Qiang, Gründer und Leiter der Nichtregierungsorganisation ‘China Labour Watch’4. Qiang, der bereits Anfang der 2000er aus China nach New York floh, erklärte im Interview mit der Jungle World, dass Unterbezahlung und Überstunden alltäglich seien. Hinzu kämen fehlende, eigentlich gesetzlich vorgeschriebene Versicherungen und fehlender Arbeits- und Gesundheitsschutz. Das Fehlen von vom Staat unabhängigen Gewerkschaften sei hier generell ein Problem. In den meisten Fabriken ist der gesamtchinesische Gewerkschaftsbund kaum oder gar nicht präsent. Der Organisationsgrad ist niedrig und viele Arbeiterinnen und Arbeiter wissen wenig über ihre Rechte. Darüber hinaus gibt es starke Einschränkungen für ausländische NGOs wie ‘China Labour Watch’. Die Streiks in den letzten Jahren haben deshalb eine Besonderheit: Sie werden von den Beschäftigten selbst organisiert. So gab es z.B. in den Jahren 2014 und 2017 Streiks in einer Fabrik, die für Adidas und Nike produziert. An diesen Streiks beteiligten sich 40.000 Arbeiter*innen. Grund für die Streiks war auch hier, wie bei anderen großen Streiks der letzten Jahre, Entlassungen und drohende Schließungen. Zwar gingen die Firmen nicht auf die Gesprächsangebote ein, ein großes mediales Echo sorgte aber dafür, dass viele chinesische NGOs die Belegschaft unterstützten; auf die Streiks folgte sogar eine Gewerkschaftsreform.

Li Qiang merkt außerdem an, dass Frauen besonders unter den schlechten Arbeitsbedingungen leiden – zum Beispiel, wenn sie trotz Schwangerschaft gezwungen werden, weiterhin gesundheitsschädliche Arbeit zu leisten. Und auch Minderheiten würden auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert – so werde in vielen Stellenausschreibungen darauf hingewiesen, dass keine uigurischen Arbeiter*innen eingestellt werden. Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft wirkt sich zudem nur auf den ersten Blick positiv auf die Situation der Lohnabhängigen aus. So steigen zwar die Löhne Jahr für Jahr, mit ihnen aber auch die Lebenshaltungskosten, sodass die Reallöhne eher stagnieren. Die Situation bleibt also, wie in vielen anderen Teilen der Welt, fatal. Eine linke Kritik sollte nicht an der reinen Verbesserung der Arbeitsbedingungen stehenbleiben, weil die grundlegenden Ausbeutungsverhältnisse sich dadurch nicht ändern.

Es bleibt die Frage nach der Zukunft: 2020 offenbarte die Kommunistische Partei Chinas in ihrem „Kommuniqué der fünften Plenarsitzung des 19. Zentralkomitees” Pläne, um sich langfristig unabhängig von westlichen Technikimporten zu machen. Bis 2035 wollen sie so zu einer Zitat „großen Nation“ werden. Es ist davon auszugehen, dass diese „große Nation“ wohl besonders groß darin sein wird, ihren autoritären kapitalistischen Staat gewaltvoll aufrecht zu erhalten, konsequenzlos die Menschenwürde mit Füßen zu treten und, wenn der „aufgeklärte“ Westen ganz genau aufpasst, gleichzeitig vielleicht sogar ihre Klimaziele einzuhalten. Ein maßgebendes Narrativ deutscher Berichterstattung zu den neuen Plänen Chinas fokussiert sich nämlich vor allem auf die fehlende Klimapolitik. Wenn wir das so sehen, sind wir doch wirklich begeistert, wie der liberale Westen jedes Mal so schnittig nur die Themen kritisiert die ihn selbst betreffen. Wenn sich weiter so “angestrengt” wird, können wir dann doch alle beruhigt sein und mit einem Biosmoothie der Zukunft entgegenblicken.

Aber Polemik beiseite, wir fordern eine kritische linke Auseinandersetzung mit China, die nicht an ökologischen Themen stehen bleibt. Unsere Solidarität gilt den streikenden und revolutionären Kräften in China, die dieses System überwinden wollen.

1 https://www.lunapark21.net/ein-klassenkrieg-den-die-arbeiterklasse-verloren-hat/, 2. Absatz

2 https://www.lunapark21.net/ein-klassenkrieg-den-die-arbeiterklasse-verloren-hat/, 3. Absatz

3 https://www.lunapark21.net/ein-klassenkrieg-den-die-arbeiterklasse-verloren-hat/, 1. Abs.

4 https://jungle.world/artikel/2017/16/die-streiks-sind-selbstorganisiert

………………….English version……………………….

Hi, we are speaking as representatives of „Utopie & Praxis Leipzig“ (Utopia and Activism Leipzig), a group of activists and part of the radical left movement of Leipzig. Today we are focusing on the economic development of China and its transformation into a capitalist nation-state, the position of the Chinese working class and its global function and importance as well as its aspirations to free itself from capitalist- exploitative circumstances. A little remark at this point: We are not able to deliver a complete and all-encompassing analysis or critique of the Chinese state instead we want to try to focus on certain attributes. At first we will dive into the history of China.

Right after Mao died in the late 1970s the highest leader of the „People’s Republic of China“, Deng Xiaoping initiated a new chapter of reform and opening. This policy paved the way for a coming shift from a state-directed economy to an economy which participated in the free-market. The reform process first affected agriculture. The land remained in state hands, but agricultural production cooperatives were dissolved. The land was assigned to individuals who had to work independently, i.e. privately, with it. Many families could not earn enough, so that space was sold and concentrated with individual actors.

As the political scientist Thomas Sablowski illustrates, the result of these processes was “an enormous release of workforce and a separation of many farmers from their means of production. These developments caused the creation of a new class structure and were similar to the “primitive accumulation of capital“ which was described by Marx. Unlike England the process repeated itself on a much larger scale in China, affecting hundreds of millions of people who lost their livelihoods in the countryside.”1

This sheer mass of emerged workforce, which often appeared as migrant workers created an increasing competition among workers. Wages could be kept very low and there were “early capitalist conditions of exploitation such as excessive working hours.”2 A key aspect of the worldwide neo-liberal reorganization at the time was the extensive expansion of cheap labor. Large parts of industrial production began to migrate from the western economies. The mere threat of this emigration also made it possible to force the Western working class into lower wages and more precarious working conditions. This power tool also appeared in the pressure on governments to cut social security contributions and lower taxes on profits. China’s development, but also India’s “liberalization reform” and the collapse of the Soviet and Eastern European real socialism led to the number of workers available for capitalist accumulation almost doubling. As a by-product of the neo-liberal global reorganization, a new, massively precarious working class emerged in large parts of the world, especially in China. Further cuts in the development of the current Chinese system were the abolition of the right to strike at the beginning of the 1980s and the end of the “iron rice bowl” principle, which until then was supposed to guarantee basic social security.

The classification of the Chinese economic system is not uncontroversial. In 1992, the 14th Congress of the Chinese Communist Party said it’s a “socialist market economy”. Thomas Sablowski, who was already mentioned in this text, has another assessment: “In China, the capitalist method of production is dominating and it’s not a socialist state just because the political party calls himself communist.”3 The implementation of the labour power as a good and the abolishment of the concept of the “Iron rice bowl” broke with pretended socialist/communist ideas.

It’s obvious that in leftist literature, the Chinese capitalism is criticized from a Maoist perspective. The time before the reorganization is glorified and the violence of the Cultural Revolution is overlooked. We are distancing us from these “leftists”. Furthermore, in the more left-leaning quarters of Leipzig some china critical posters were crossed with hammer and sickle. This is not only insupportable in view of the systematic human rights violation of the Uigurs.

Now, we want to look at the current situation of labour disputes. Recently, in China there were some bigger strikes due to labour law violations amongst other things. The most common labour law violations in China are Underpayment or Overtime, said Li Qiang, founder of the NGO “China Labour Watch”.4 In addition, often the legal insurance, the safety at work and the health protection are missing. In general, the absence of independent labour unions is a big problem too. In most of the Chines factories, the All-China Federation of Trade Unions is hardly or not at all present. The rate of unionization is very low and many workers don’t know their rights. Furthermore, there are a lot of restrictions against foreign NGOs like “China Labour Watch”.

So the strikes in the past few years are particular: They are organized by the workers themselves. For example, in 2014 and 2017, there were some strikes in a factory, which was manufacturing for Adidas and Nike. 40.000 workers took part in the strikes. The reasons were the same as for other strikes: job cuts and imminent closings. The employers didn’t answer to the workers requests, but a big medial echo was the cause for a big supportive movement by many Chinese NGOs. In the end, even a union reform results from the strikes.

Li Qiang also states that women suffer particularly from the bad working conditions – for example when pregnant women still have to do work which is harmful to health. And minorities also get discriminated on the labour market – in many job advertisements it is written that no Uighur workers will be hired, he says. He also claims that the growth of the Chinese economy only has a positive impact on the situation of workers on the first sight, because, even though the wages rose in the past years, the costs of living also rose, leading to stagnation of the real wages. So, the situation stays fatal, like in many other parts of the world.

Left-wing critique should go beyond demanding improved working conditions because otherwise the fundamental relationship of exploitation won’t change.

The question about the future remains: in their Communique of 5th plenary session of 19th CPC Central Committee, in 2020 the Communist Party of China revealed plans to make China independent from western technology imports on the long term. Until 2035, they want to become a “great nation” by that. One can assume that this “great nation” will be very “great” in violently maintaining their authoritarian capitalist state, violating human dignity without facing consequences and, if the “enlightened western world” pays very close attention, maybe also accomplishing their climate goals. Because actually, an essential narrative of German news coverage of China’s new plans focuses on their lack of climate policies. Regarding it like that, we are very excited about how the liberal west every time only snappily criticizes the issues that directly affect him. If those efforts continue, we all can stay calm and look forward to our future holding a bio smoothie.

Polemic aside, we demand a critical, left-wing debate on China that goes beyond ecological/environmental issues. Our solidarity is with the striking and revolutionary forces in China who want to overcome this system.

Utopie & Praxis (April 2021)

1 https://www.lunapark21.net/ein-klassenkrieg-den-die-arbeiterklasse-verloren-hat/, 2. Absatz

2 https://www.lunapark21.net/ein-klassenkrieg-den-die-arbeiterklasse-verloren-hat/, 3. Absatz

3 https://www.lunapark21.net/ein-klassenkrieg-den-die-arbeiterklasse-verloren-hat/, 1. Abs.

4 https://jungle.world/artikel/2017/16/die-streiks-sind-selbstorganisiert