Redebeitrag 30.05.20 // Demo “Solidarität statt rechte Hetze” (JgR Leipzig)

Am 18. Mai auf dem Spaziergang der Corona-Leugner*innen in Leipzig: Durch ein Megafon fiel der Spruch “Zeigt uns das Virus, dann zeigen wir euch unsere Masken”. Hier wollen wir erstmal ansetzen. Dieser Ausspruch transportiert eine in hohem Maße wissenschaftsfeindliche Haltung und ebenfalls das Unvermögen bzw. die fehlende Bereitschaft, Verhältnisse anzuerkennen, die nicht mit den eigenen Augen sichtbar sind. Frei nach dem Motto, was ich nicht sehe, kann nicht wahr sein. Obwohl dieses Motto wahrscheinlich auch darum erweitert werden kann: Was ich nicht sehen WILL, kann nicht wahr sein.

Im Weiteren bevorzugen wir deshalb deren Bezeichnung als Verschwörungserzählungen bis Verschwörungsideologien und nicht -theorien. Das Festhalten an den Erzählungen trotz eindeutiger unabhängiger Gegenbeweise und die perfide Feindseeligkeit gegenüber Allem, was scheinbar nicht verstanden werden kann, oder werden will deutet mehr auf die Konstruktion einer Verschwörungsideologie hin. Gegenargumente und Fakten werden von vornherein delegitimiert und als “Propaganda” der Gegenseite degradiert. Wer von Fake-News und einer gesteuerten Lügenpresse schwadroniert, braucht sich nicht mit Argumenten auseinandersetzen.

À la – täglich grüßt die antisemitische Querfront – stellen sich diese Proteste in eine Reihe mit beispielsweise den Friedensdemos, die ab 2014 im Zuge des Ukraine-Russland-Konflikts auftraten. Wobei es der Begriff “Querfront” für Leipzig eventuell nicht ganz trifft, da es diskutabel ist, welchen Einfluss selbstbezeichnende Linke hier in der Protestorganisierung haben. [1] Never the less: Diese scheinbar immer neuen Bewegungen greifen immer wieder auf etablierte Strukturen und Akteure zurück, wie beispielsweise der immer noch umtriebige Ken Jebsen, der seit 2011 öffentlichkeitswirksam Verschwörungserzählungen anbietet. Oder auch auf die unzähligen wirren Youtube-Channels, die fleißig eine scheinbare Erleuchtung mit ihrem Wahn verwechseln.

Das Publikum der Demos ist dabei durchaus divers und auch regional verschieden. Da gibt es esoterische, im schlechtesten Fall als links bezeichnete Menschen, die vom Impfen noch nie etwas gehalten haben, „natürliche“ Selektion abfeiern und mit Liebe, Tanz, Globuli und den Sternen mögliche Krankheiten heilen, die ja sowieso durch das Schicksal vorgegeben seien. Dann treffen sich dort weiterhin die „besorgten“ Bürger*innen, die ihren allgemeinen Unmut über ihre Lebenssituation kundtun wollen, und sich dafür nicht zu fein sind, neben der dritten Gruppe, den bekennenden Neonazis zu laufen und ihnen den Schein eines bürgerlichen Anschlusses zu geben.

Im Wissen vereint, dass eine kleine Elite die ganze Welt kontrollieren würde, treibt der Unwille zur Beschäftigung mit komplexen kapitalistischen Strukturen ihre Ideen weiter voran. Versuchen Teile ihre Gedanken noch hinter Floskeln von „denen da oben“ oder dem „Finanzkapital“ zu verstecken, brüllen andere geradezu euphorisch „die Juden“ oder „die zionistische Lobby“ in die Kameras der Rundfunksender oder wahlweise auch in die Gesichter sächsischer Spitzenpolitiker*innen. [2] Antisemitismus mit der Kitt-Funktion aus dem Querfront-Baukasten wird von den meisten Menschen, die wöchentlich gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie auf die Straße gehen, in unterschiedlicher Intensität genutzt.

Aus unserer Sicht lohnt es sich in dieser Thematik abschließend noch auf ein paar Gedanken zum Einfluss der Angst im Kapitalismus eingehen, die Lukas Betzler sehr treffend in der Phase 2 [3] formulierte:

Es können zwei Arten von Angst unterschieden werden. Einmal eine diffuse Angst, die Einzelne angesichts der Ohnmacht gegenüber gesellschaftlicher und ökonomischer Prozesse befällt. Als konkrete Angst hingegen lässt sich beispielsweise die des schwulen Fußballfans vor Ausgrenzung und Gewalt oder der Partybesucherin vor sexueller Belästigung bezeichnen.
Wenn wir diese erste Angst betrachten, kann festgestellt werden, dass unsere Gesellschaft geradezu auf Angstproduktion basiert und angewiesen ist. Die Angst vor Armut, Ausgrenzung und sozialem Abstieg zwingt die Menschen in die Selbstverwertung und kann ebenfalls dazu führen, dass dieser objektlosen Angst wieder konkrete Objekte, wie ein menschliches Gegenüber (4), zugewiesen werden. Das kann sich dann in Aberglauben und/oder Verschwörungsglauben manifestieren.

Das folgende Zitat bringt es unserer Meinung nach auf den Punkt:

“Wenn Angst nicht verdrängt würde und man sich gestatten würde, real so viel Angst zu haben, wie diese Realität Angst verdient, könnte wahrscheinlich doch manches von dem zerstörerischen Effekt der unbewußten und verschobenen Angst verschwinden.” [5]

Diese Phänomene sind aus unserer Sicht ebenfalls unbedingt materialistisch zu betrachten. So muss an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass es Menschen gibt, die sich aus durchaus nachvollziehbaren Gründen eine Ende der Corona-Maßnahmen wünschen. Sozialer Absturz, Arbeitslosigkeit, Isolation und das hierdurch entstehende Leid sind reale Faktoren mit denen Menschen zu kämpfen haben. Nur ist „social distancing“ leider immer noch unvermeidbar, es zeigt sich aber einmal mehr das Problem der grundlegenden Strukturen.

Wir wollen an dieser Stelle mit einer Überzeugung der kritischen Theorie enden:
“Der Zweck der Revolution bleibt die Abschaffung der Angst.” [6]

In diesem Sinne:
Gegen die herrschenden Verhältnisse – Für die befreite Gesellschaft!

[1] Kleiner Nachtag vom 30.05.: Die Demo heute kann aus unserer Sicht doch auch direkt als Querfront bezeichnet werden. Die Frage nach dem Selbstverständnis der Demoteilnehmenden spezifisch in Leipzig ist für uns dennoch nicht gänzlich geklärt. So ähnelten die “Liebe Leben Lachen” (usw.) Banner und die Regenbogenfahnen doch sehr stark “linken” Friedensdemos. Es gab in Leipzig aber auch immer wieder Kundgebungen mit bekennenden Neonazis, wie beispielsweise einmal eine Gruppe mit Schwarz-Weiß-Roten Fahnen. Dies war wesentlich klarer als heute dem klassisch rechten Spektrum zuzuordnen. (https://twitter.com/J_MkHk/status/1259870702246793217/photo/1) Neben der generellen Diskussion um den Querfrontbegriff wird auch das vereinfachende mediale Narrativ, auf diesem Demos würden Linke und Rechte einfach zusammen demonstrieren, hinterfragt. Beispielsweise hier: https://taz.de/Rechte-Ideologie-auf-Hygienedemos/!5685710/

[2] z.B. https://www.mdr.de/video/mdr-videos/c/video-407072.html

[3] Betzler, Lukas: Keine Angst für Niemand? (https://phase-zwei.org/hefte/artikel/keine-angst-fuer-niemand-696/)

[4] Hier könnten beispielsweise Rassismus oder Antisemitismus genannt werden. Also im Sinne einer Projektion eines diffusen Gefühls auf eine Person/Personengruppe.

[5] Theodor W. Adorno: Erziehung nach Auschwitz, S. 5 (http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/e_bibliothek/gedenkstatten/Adorno%2C%20Erziehung%20nach%20Auschwitz.pdf)

[6] Theodor W. Adorno, Brief vom 18.3.1936, in: Theodor W. Adorno/Walter Benjamin, Briefwechsel 1928–1940, Frankfurt a. M. 1994, 173.