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Hey. Schön, dass es geklappt hat. Wollt ihr euch zu Beginn einmal kurz vorstellen?
Hallo, ja. Wir sind die Punkwerkxxkammer. Wir sind ein Verein, gegründet von betroffenen Obdachlosen im Innenstadtbereich, speziell des Hauptbahnhofs Leipzig, die sich quasi selbst organisiert haben und sich selbst aus der Misere ziehen wollen. Und dabei aber auch Anderen, also auch anderen Betroffenen mithelfen wollen. Also Hilfe zur Selbsthilfe. Das ist unser großes Ziel.
Wann habt ihr euch gegründet?
Unsere Gründung war am 21.09.2018 und e. V. sind wir jetzt seit dem 15.03.2019.
Anfangs hattet ihr ein anderes Objekt. Wie kam es, dass ihr jetzt hier seid?
Am Anfang hatten wir noch ein Haus auf dem Gelände des Hauptbahnhofs, die G3. Der Eigentümer hatte sich dann mit uns in Verbindung gesetzt und hat uns quasi das hier als Vergleichsobjekt angeboten. Also dass wir dahinten rausgehen. Das Haus sollte umgebaut werden zu einem Kindergarten – so scheiße sind wir dann ja auch nicht – und da haben wir gesagt okay, und dann haben wir von ihm das Objekt bekommen, was auch ihm gehört. Und das jetzt war der Traum. Eine Verbesserung. Nichts gegen unsere heißgeliebte G3, aber wir haben versucht, da ein paar Umbaumaßnahmen zu starten, aber da sollen mal lieber die Profis dran.
Gab es einen bestimmten Anlass für die Gründung der Punkwerkxxkammer?
Ja, wir hatten alle hier oben auf dem Gelände des Bahnhofs gewohnt, und ja, da sieht man ja, was draus geworden ist. Und wir wollten uns nicht einfach so vertreiben lassen. Und man ist als Gruppe natürlich stärker als ein Einzelner und als Verein hat man in Deutschland ja noch ein paar andere Rechte. Und so haben wir uns selbst organisiert und dann mal schauen, was wir reißen können. Immer nur auf der Stelle treten, das bringt ja auch nichts.
Gibt es konkrete Angebote, die ihr bereitstellt?
Wir haben eine Kleiderkammer, da können alle Betroffenen gerne vorbeikommen. Wir haben Herren- und Damenausstattung, Decken und Schlafsäcke. Wir können kleine Hygienepacks zusammenstellen und wir haben Verbandsmaterial.
Unter anderem haben wir auch einen Tresen, unseren Punkertresen, der jetzt wieder offen ist. Corona hat uns da ein bisschen reingegrätscht, allerdings mussten wir in der Zeit auch das Dach innen abnehmen, aber das hat auch geklappt. Der Tresen ist jeden Mittwoch und am Wochenende. Einmal hatten wir bisher auch ein Konzert einer ungarischen Punkband. Die nächsten Konzerte sind vielleicht schon Ende August/ Anfang September angedacht.
Wie ist die aktuelle Situation mit eurem Haus?
Also eigentlich war die Ansage vor Corona, das wir Anfang Mai hier rausmüssen. Da stand allerdings auch im Raum, dass das Gebäude hier abgerissen wird wegen des Geländes da oben, jetzt ist aber das Gelände schon wieder von dem Eigentümer verkauft worden und jetzt steht das schon wieder alles in der Schwebe. Wir waren auch mit der Stadt da schon im Gespräch, aber da hat sich bei uns auch die Zusammensetzung verändert und da müssen wir uns auch noch mal neu strukturieren.
Hier in dem Komplex gibt ist ja auch noch einen Boxclub. Das Objekt wurde uns hier angeboten, weil es hieß, dass es nicht gebraucht wird. Da können wir erstmal drinbleiben. Und nach einem halben Jahr kam die Immobilienfirma und meinte, wir müssen raus. Also seit fast eineinhalb Jahren sind wir jetzt wirklich alle halbe Jahre vor dem Auszug.
Aber wir haben gesagt, im Zweifelsfall werden wir besetzen. Wir gehen hier nicht weg. Wir haben hier Schweiß, Blut und Tränen reingesteckt.
Wäre das ein Anlass, in dem euch eine linke Szene unterstützen könnte?
Ja definitiv! Umso mehr, umso besser.
Welche schönen Erlebnisse hattet ihr schon hier?
Ich sehe hier jeden Tag als Erfolg, den ich hier aufwachen darf. Ansonsten die Baumaßnahmen als Erfolge. Das ist halt ein großes Objekt, da gibt es immer viele Aufgaben. Und hier wurde ganz viel gepfuscht. Da wusste man, was hier Ostbau ist. Von Sauerkrautplatte zum selbstgeschmiedeten Nagel. Ansonsten kommen wir auch mit unseren Nachbarn super klar, wie bspw. mit dem Boxclub.
Eingang zur Punkwerxxskammer
Wir haben auch mit dem Autor Lucius Teidelbaum ein Interview geführt, der unter anderem zu Verdrängung von Menschen aus dem Stadtbild arbeitet. Habt ihr damit Erfahrung gemacht?
Ja, total. Die versuchen uns seit Jahren zu verdrängen. Vom Bahnhofsvorplatz, von jeder Ecke. Da sind seit Jahrzehnten Punker, die gehören zum Stadtbild. Ist so. Die können uns da nicht einfach verjagen. Leute von uns sind teilweise seit 30 Jahren unterwegs.
Das ist ja eine lange Zeit. Hat sich in der Zeit etwas verändert?
Ja, viel. Es ist nicht mehr so wie früher. Schnorren zum Beispiel. An jeder Ecke sitzt einer. Die “Osteuropäer” und so. Da wäre ich auch angepisst, wenn ich an jeder Ecke gefragt werde. Das schlimme ist, das Leute gehen, die gar nicht schnorren brauchen. Die kassieren Hartz-IV und gehen trotzdem noch schnorren. Man sieht ja auch Leute wie die “Bettelmafia”.*
Aber auch das Weltbild hat sich verändert, die Leute haben das Menschliche verloren. Viele denken nur noch an sich. Kein Danke, kein Bitte. Wenn ich nach einer Spende frage und noch einen schönen Tag wünsche, dann werde ich ignoriert. Nicht mehr das bekommt man mehr raus. So als wenn du einfach nicht da wärst. Das machen die meisten so, das ist krass. Nichts mit Solidarität. Außer Weihnachten. Das Fest der Liebe, da klingelt’s natürlich. Da denken sie da schmeißen sie einmal im Jahr 2 Euro rein, da haben sie ein gutes Gewissen. Das ist wie bei der WM, da mögen plötzlich alle Fußball.
Und noch zur Verdrängung: Ihr hättet vor zwei Jahren mal hier sein müssen. Das war eine richtig schöne grüne Oase. Da hatten wir eine Terrasse mit einem Vordach bei einer Halle, das war wie im Garten. Das war so ruhig, so schön. Und dann sind wir runter, hier das ist wie eine Quelle. Das ist das Grundwasser, was unter dem Bahnhof abgepumpt werden muss. Das ist ganz klar und wird in die Parthe reingeleitet. Das kannst du sogar trinken, das war richtig gut. Und wir haben hier auch einen Haufen wilde Tiere gehabt. Das darf man auch nicht vergessen. Vom Fuchs bis zum Waschbären. Der kommt hier auch immer noch zu uns, Hundefutter klauen. (lacht) Und die haben hier auch eine Zauneidechse gefunden, weswegen auf dem Gelände Baustopp war.
Jedenfalls sah es richtig schön aus, viele Blumen und Büsche und dann alles platt gemacht. Das ist jetzt eine einzige Brache. Dafür mussten wir gehen. Der Lebensraum von über 50 Leuten, vielleicht bis 100 Personen. Das war kostenloser Wohnraum, den nicht mal der Staat bezahlen muss. Sinnlos. Echt sinnlos.
Man könnte sich ja gegen solche Maßnahmen gemeinsam solidarisch wehren, oder?
Ja, auf jeden Fall. Hier oben am Bahnhof haben wir jetzt noch den Franz, den „Jugendgruppenleiter“, ein Künstler aus Bayern, der ist im Endeffekt die letzte Bastion, die noch da ist. Da sind jetzt immer noch so circa 10-15 Leute, meist auch jüngere. Der Franz erklärt denen das, der bildet die aus zum Survival-Training. Der hat seinen Lebensstil gefunden. Und für die Jungs ist das die beste Anlaufstelle, besser als jede Auffangstation auf der Straße. Da lernst du was fürs Leben. Halt wie du dich im Großstadtdschungel zurechtfindest und überlebst. Und der macht das da auch freiwillig. Der hat damit seinen Weg gewählt. Das sieht da jetzt aus wie ein Zeltlager, aber wenn man näher kommt, haben die auch einen richtigen Zaun, Sitzplätze und so weiter.
Der Autor, mit dem wir gesprochen haben, hat berichtet, dass es immer wieder zu Anfeindungen kommt. Gibt es da eine Unterstützungsstruktur bei euch?
Wir nehmen auch manchmal Leute auf, die wir gar nicht kennen. Manchmal gehen die auch nie wieder. (lacht)
Wir hatten jetzt im Winter eine ältere Frau, eine Rumänin aufgenommen und ansonsten ja, wir versuchen, soweit wie es geht, zu helfen. Wir haben wie gesagt unsere Angebote wie Zelte, Schlafsäcke unter anderem und Informationen, wo sie sich noch hinwenden können.
Und generell zum Thema der Gewalt: Alleine schlafen ist scheiße. Du wirst zusammengetreten, du wirst angezündet, du wirst beklaut. Die ganze Palette. Deswegen am meisten in Gruppen übernachten. Mittlerweile ist es in Leipzig so schlimm geworden. Früher konntest du dich alleine in einem Park unter einen Busch hauen, das kannst du heute gar nicht mehr. Wenn du das machst, musst du damit rechnen, dass du früh nackig bist, dass du nichts mehr hast. Nicht, dass ich rassistisch wäre, aber es sind auch viele Ausländer hier am Bahnhof. Nachts ist das furchtbar, wenn du alleine schnorrst, belagern die dich, warten die so lange, bis du besoffen bist. Das merkt man dann, wenn du alleine dasteht, hast du schnell eine Gruppe am Arsch hängen, die wirst du nicht mehr los.
Also das Bahnhofsmilieu ist härter geworden. Also auch als Mädel abends, früher war mir das boogie, aber es wird von allen geraten, dass nicht mehr zu machen. Leider gab es hier auch erst einen Todesfall in Bahnhofsnähe von einer jungen Frau, die erschlagen wurde. Die wurde noch verprügelt, als sie schon tot war. Mittlerweile gibt es Leute, die sogar aus Selbstschutz ein Messer einstecken.
Und das mit dem Drogen verkaufen hatten wir schon seit der Wende. Früher war es Heroin, heute ist es halt Gras. Aber das werden sie nie wegbekommen. Wir hatten nie Problem mit Ausländern, aber auch zum Beispiel vor drei, vier Jahren wollten die unsere Plätze und da gab es einen Konflikt und dann hat sich das auch wieder eingerenkt. Und wir, die Leute, die sie eigentlich mit verteidigen wollen, die linke Szene quasi, auf uns sind die dann mit Messern los damals. Das war sehr interessant. Wir haben noch gesagt Leute wir sind auf eurer Seite. Die hatten da ne Höhephase, das waren Halbstarke, so 17, 18 Jahre alt. Die haben gedacht mit den Punkern kann man das machen, aber wir Punker kiffen nicht nur und saufen. Wir halten zusammen.
Und was wir uns gefragt haben: Habt ihr Veränderungen durch Corona mitbekommen?
Na am Anfang, als Corona angefangen hat, war die Stadt wie leergefegt. So waren die ersten Wochen. Aber da fand ich Schnorren ging da an manchem Tagen besser. Weil da Leute gegeben haben. Lieber langsames Laufpublikum. Wenn die Stadt voll ist, rennen 1000 Leute an dir vorbei und zwei bleiben stehen. Das ist wie Mittagszeit am Bahnhof, die wollen alle zum Zug, da hält keiner an. Da musst du schon Glück haben.
Mit den Spenden haben wir es gemerkt während Corona. Da haben wir mehr bekommen, zum Beispiel ganz viel Hundefutter und so, das war gut. Und da gab es auch einen Zeitungsartikel zu: da war ein Taxifahrer, der hat uns meist Pizzen und so gebracht, manchmal auch was anderes, das war super.
Wurden Hilfseinrichtungen geschlossen?
Viele Einrichtungen durften ein bisschen was machen. In der Chopi (Chopinstr. 13) gingen Sachen wie Spritzentausch und so, aber Essen gab es nicht. An der Tür konntest du da nach Spenden und Spritzen fragen. Die Leute, die da wohnen, konnten da auch schlafen, Gäste nur Duschen und so. In der Zeit gab es keine Neuaufnahmen. Mittlerweile wurde gesagt, dass sie wieder aufhaben. Da kannst du wieder drin sitzen und essen.
Die Forderung „Stay at home“, wie habt ihr die aufgenommen? In dem Sinne, dass ja nicht alle Menschen ein zu Hause haben.
Die Leute sind doch eh schon abgeschrieben. Eine Zeitlang stand ja die Forderung im Raum, dass die Leute dann in die Psychiatrie gesteckt werden. Selbst unsere Leute, die wurden am Bahnhof beim Schnorren vertrieben. Warum? Die haben doch alles eingehalten. Die 1,5 Meter Abstand, alleine und alles. Das war halt noch in der Zeit des Hausarrests. Aber wo sollst du denn hin? Wie sollen wir denn was zu essen bekommen?
Wer hat euch da vertrieben? Die Cops?
Die Bullen haben uns vertrieben. Wer denn, wenn nicht die, die Pfeiffen. In der Zeit hast du mehr Bullen gesehen als andere Menschen. Die haben halt Zeit gehabt. Die haben uns hier auch auf dem Gelände kontrolliert. Die kennen uns alle, auch beim Namen. Und dann haben die uns kontrolliert, nur weil wir mit dem Hund Gassi gehen. Da gibt es eine Ausweiskontrolle und die sprechen dich vorher mit Namen an. Oder wenn sie dich in einer Stunde zwei bis dreimal kontrollieren. Das ist reine Schikane.
Gab es noch weitere Einschränkungen für euch?
Ja, beispielsweise wenn wir neue Dokumente oder Formulare brauchten. Die Stellen hatten geschlossen, wir hätten das ja auch im Internet ausdrucken können und hinschicken. Wir haben hier aber kein Internet, da müssen wir erst wieder ins Internetcafé gehen. Die waren aber auch geschlossen. Man fühlte sich zurückversetzt in der Zeit, wie im Jahr 1980.
Gegen Ende des Interviews wollen wir gerne nochmal wissen, wie ihr unterstützt werden könnt und wollt?
Also bei unserem Haus, da brauchen wir auf jeden Fall Hilfe. Wir wollen das Haus behalten. Auch Sachverständige für Umbaumaßnahmen, vor allem Kenntnisse von Elektrik wären ganz wichtig. Ansonsten Baumaterialien, Sachspenden und so. Da kann sich gerne per Mail (pwk.kleiderkammer@gmail.com) gemeldet werden und wir sind auch bei Facebook zu finden. Oder ihr könnt gerne auch bei uns in der Berliner Str. 66 auf dem Hinterhof vorbeikommen, da können wir gar nicht verfehlt werden. Dort wo die Hunde bellen. (lacht)
Und ansonsten wäre für uns eine Zusage, dass wir hier bleiben können das A und O mit Bilderrahmen.
Vielen Dank auf jeden Fall für eure Offenheit und Zeit!
Wir danken der Punkwerkxxkammer für das sehr freundliche und offene Interview und hoffen, dass linke Gruppierungen sich solidarisch zeigen werden. Wir können allen Interessierten und hilfsbereiten Menschen empfehlen, sich mit der Punkwerkxxkammer in Verbindung zu setzen und sie zu unterstützen.
*
Disclaimer
Im Interview selbst gab es keine klare Trennung einer Gruppen- und Einzelmeinungen. Dabei enstanden Aussagen, wie in dieser Passage, die wir sehr kritisch sehen. Begriffe wie Bettelmafia sind häufig ebenfalls rassistisch/antiziganistisch intendiert oder unterbewusst so belegt, kriminalisieren die damit gemeinten Menschen und ignorieren deren prekäre Lebensumstände. Wir wollen an dieser Stelle nochmal auf das Interview mit Lucius Teidelbaum aufmerksam machen und hier auf zwei Passagen verweisen:
“Linke sollten bei der Unterstützung von Wohnungslosen aber nicht vergessen, dass Politik oft auch eine Art Luxus ist, wenn auch ein zwingend notwendiger. Als linker Aktivist oder linke Aktivistin habe ich meist ein Bett, eine Dusche, einen gefüllten Kühlschrank und einen Schrank mit Klamotten. Auf der Straße muss ich mir das erst alles organisieren und das oft jeden Tag neu. […] ”
“Leider gibt es auch ganz unten Verteilungskämpfe. Da streiten sich dann die Straßenpunks mit osteuropäischen Bettler*innen um die besten Bettel-Plätze.”
Wir wollen damit diese Aussagen nicht entschuldigen sondern für Verständnis der konkreten Lebenssituation und eine kritische wie auch reflektierte Auseinandersetzung werben.